Auf Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa bezogene Gesetzgebung, Berichte und Denkschriften 1920-1939. Zwischenstaatliche Abkommen mit zumindest einem Vertragspartner aus Mittel- und Südosteuropa 1920-1939.
Die komplexe, unfertige und somit chronisch instabile
Friedensordnung nach dem Ersten Weltkrieg löste naturgemäß nicht die
Problematik von ethnischen Minoritäten. Es wurden durch die neuen
Grenzziehungen lediglich eine neue „Gemengelagen" geschaffen. Als
zentrale Konfliktursache erwies sich die Ideologie von der Schaffung eines
„ethnisch einheitlichen Nationalstaates", was automatisch die
Assimilation, Vertreibung, soziale und kulturelle Marginalisierung der
nicht zur jeweils angenommenen Staatsnation zugehörig betrachteten
beinhaltete. Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten Ostmittel- und
Südosteuropas lassen sich lediglich hinsichtlich der Intensität und
Radikalität dieser Bemühungen feststellen.
Zu diesem riesigen Themenkomplex bietet die
Quellensammlung eine Reihe von exemplarischen Dokumenten. Die Spannbreite
reicht dabei von Schulgesetzen aus den baltischen Staaten bis hin zu
zwischenstaatlichen Umsiedlungsabkommen aus den 1930er Jahren nach dem
Vorbild des wechselseitigen „Bevölkerungsaustausches" der durch
den Lausanner Vertrag zwischen der Türkei und Griechenland unter
Vermittlung und auf Anraten der Großmächte 1923 geschlossen worden war.
Anhand der hier und in den Quellensammlungen 2, 3, 5, 6, 7, 11, 13
vorgestellten Dokumente läßt sich beispielhaft die Kontinuität der Idee
von Umsiedlungen bestimmter Ethnien als „friedensstiftende- sowie Staat
und Gesellschaft stabilisierende" Maßnahme von zumindest Teilen j
gleich welcher sonstigen politischen und ideologischen Ausrichtung
belegen.
Ein mit dem ersten eng zusammenhängender zweiter
thematischer Themenkreis in dieser Quellensammlung sind zwischenstaatliche
Abkommen mit zumindest einem Vertragspartner in den beiden
Schwerpunktregionen zwischen 1920 und 1939. Durch ein neues System von
wechselseitigen defensiv ausgerichteten Bündnisverträgen einiger „Siegerstaaten"
– die sogenannte „Kleine Entente" bestehend aus Polen,
Jugoslawien, Rumänien und der Tschechoslowakei unter Frankreichs
Federführung, sei hier an erster Stelle genannt, versuchten die
Großmächte den neuen Status quo möglichst zu bewahren. Andererseits
bemühten sich nicht einbezogene Staaten durch bilaterale Abkommen
abzusichern und „Verliererstaaten" um eine schrittweise
Verbesserung ihrer Gestaltungsmöglichkeiten beziehungsweise nach etwa
1930 Revisionsprojekte auch durch außenpolitische Neuorientierungen
anzugehen. Immer standen Minderheitenfragen dabei zumindest im Hintergrund
– versuchten doch die Kontrahenten diese bei ihren jeweiligen
Forderungen als Argumentationshilfe oder Manövriermasse ins Spiel zu
bringen.
(Meinolf Arens)
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